Eine Woche lang waren wir in Slowenien aktiv und haben die Geflüchteten dort unterstützt. Einige von uns waren bei vorherigen Fahrten dabei und haben dort bereits Erfahrungen gesammelt. Wir haben viele Menschen getroffen, die wie wir auf dem Balkan unterwegs sind und den Geflüchteten helfen. Dabei ist uns aufgefallen, dass sich im Norden des Fluchtweges, also in Kroatien, Österreich und Slowenien, eine teils problematische Überregulierung der Versorgung eingestellt hat. Hatten vor 1 – 2 Monaten nahezu ausschließlich private Personen und Gruppen Unterstützungsleistungen für die Geflüchteten übernommen und sich staatliche Stellen sowie die großen NGOs zurückgehalten, so hat sich dieses Bild mittlerweile komplett gedreht. Die Refugees werden vom serbischen Sid mit einem Zug in das kroatische Lager Slavonski Brod gebracht, von dort direkt in das Camp im slowenischem Ort Dobova und anschließend weiter nach Spielfeld in Österreich. Unterwegs wird die Versorgung vom Roten Kreuz oder der Caritas übernommen. Dieser Zustand stellt zwar eine erhebliche Verbesserung zu der Situation im September/Oktober dar, als die Geflüchteten noch größtenteils sich selbst überlassen worden sind. Leider erleben wir aber immer noch erhebliche Missstände, die mitunter eben gerade Resultate der überregulierten staatlichen Intervention sind:
- Es herrscht ein regelrechtes Registrierungschaos. An jedem Ort, für jede Aktion müssen sich die Freiwilligen registrieren. Auf diese Weise gehen oftmals Ressourcen verloren, weil lange gewartet werden muss oder die Kapazitäten der Freiwilligen nicht genutzt werden können.
- Die Refugees werden auf ihrem Weg quasi von der Bevölkerung abgekapselt. Sie werden wie Fremdkörper von einem Transportmittel zum anderen, von einem Lager zum nächsten gebracht, immer unter Bewachung von Polizei und Militär.
- Die übertriebene Militarisierung (Maschinengewehre, Räumpanzer & Co.) entlang der Fluchtroute kann eine enorme Belastung für Menschen mit mentalen, seelischen und psychischen Traumata/Verletzungen darstellen.
- Für privat agierende Voluteers gilt unter den aktuellen bürokratischen und autoritären Strukturen oft die Vorschrift, Mundschutz und Handschuhe zu tragen.
- Oft kommt es vor, dass NGOs den Bedarf in einem Camp nicht transparent machen. Wir haben erlebt, dass unsere Kleidungsspenden vor dem Camp abgelehnt wurden, dann aber im Camp drinnen enormer Bedarf dafür bestand.
- Die Unterstützung der Geflüchteten durch die großen NGOs findet oft nicht solidarisch statt. Im Vordergrund steht die physische Versorgung, es gibt keinen Anspruch auf Vernetzung mit den Geflüchteten, einem Austausch oder einer Analyse oder Kritik an den Umständen und Hintergründen ihrer Flucht.
- Im Vordergrund im Lager steht das schnelle Abtransportieren der Menschen. Die Refugees erhalten keinerlei Informationen zu ihrer Lage und werden nicht über ihre Rechte informiert.
- Die Lager sind absolut hierachisch organisiert und die letzte Entscheidungsgewalt bleibt bei Polizei, Militär oder den NGOs, welche völlig willkürlich den Zugang zu den Refugees oder das Verteilen von Spenden erlauben oder untersagen.
- Unabhängigere NGOs, welche sich durch den Bürokratiedschungel gekämpft haben und in den Lagern helfen dürfen, befinden sich in ständiger Angst, vom Roten Kreuz oder der Polizei/Militär aus den Lagern geschmissen zu werden, wenn sie sich nicht konform verhalten.
Wir möchten unsere humanitäre Arbeit mit einem politischen Anspruch verbinden und Kritik an den Verhältnissen üben. Die Notwendigkeit, humanitäre Unterstützung leisten zu müssen, resultiert für uns aus politischen Problemlagen, die benannt und kritisiert werden müssen. Dazu gehören:
- Die europäische Abschottungspolitik gegenüber Migrant*innen.
- Die mangelnde Solidarität europäischer Staaten untereinander.
- Der mangelnde Einsatz der Bundesregierung gegen die Hetze gegen Menschen.
- Die militärischen Einsätze in Afghanistan und den Irak, die ohne politische Strategie gegen extremistische Organisationen wie den IS blieben und stattdessen in der Tradition der Ausbeutungspolitik gegenüber vielen Staaten des Nahen Osten stehen.
- Die mangelnde Sensibilität und Differenzierung der Politik bzgl. der aktuellen Terrorgeschehnisse und den Menschen, die aufgrund tagtäglicher Bedrohung vor diesem Terror fliehen und in Europa Schutz suchen.
Wir fordern, dass bei der Unterstützung für Geflüchtete diese Punkte mitgedacht und Konsequenzen daraus gezogen werden. Unterstützung für Menschen sollte solidarisch stattfinden und auf Augenhöhe. Die Geflüchteten, die nach Europa kommen, sind keine Fremdkörper, sondern unsere Mitmenschen. Ihre Flucht ist keine Bedrohung für Europa, sondern eine Chance. Die Gründe für ihr Weggehen hat Europa mitzuverantworten. Diese Verantwortung gilt es endlich konsequent zu übernehmen und sich nachhaltig für eine solidarische Welt einzusetzen, in der alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft ohne Grenzen zusammenkommen können.