Gestern kam es erneut zu Ausschreitungen an der mazedonisch-griechischen Grenze. Erneut soll ein Flugblatt die Geflüchteten dazu aufgefordert haben, die Grenzanlagen zu stürmen. Daraufhin verschossen die mazedonischen Einheiten Trängengas und Gummigeschosse. Wir haben mit Guevara Nabi gesprochen, der sich in Syrien für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt hat und nun auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg im Camp bei Idomeni leben muss.
Guevara Nabi erzählt, was vor den Protesten geschah. „Am morgen hatten wir eine Delegation zu der mazedonischen Polizei geschickt, um sie davon zu überzeugen, die Grenze zu öffnen.“ sagt er. „Doch die hatte das abgelehnt.“ Über diese Situation wird in den hiesigen Nachrichten nicht gesprochen. Dafür über ein Flugblatt. Nicht-Geflüchtete sollen es angefertig, verteilt und so die wartenden Menschen zu den Protesten angestachelt haben. Für Guevara Nabi spielt das aber keine Rolle. „Junge Geflüchtete riefen dazu auf sich an den Grenzen zu positionieren und für eine Öffnung einzutreten.“, meint Guevara Nabi. Nicht die verteilten Flugblätter seien das Problem. „Das Problem ist, dass es von offizieller Seite überhaupt keine Informationen gibt.“, meint Nabi. Er sieht keinerlei Anzeichen dafür, dass europäische Aktivist*innen die Geflüchteten instrumentalisieren würden. Der Vorfall und wie er in den Medien thematisiert wird, zeigt weniger wie Aktivist*innen Geflüchtete „ausnutzen“. Er macht eher offensichtlich wie wenig Medien den Geflüchteten eine Selbstbestimmtheit in ihrem Handeln zutrauen.

Nachdem die kurzen Verhandlungen scheiterten, befanden sich laut Guevara Nabi hunderte Menschen an den Grenzzäunen. „Sie versuchen über die Grenzanlagen zu kommen“, sagt er. „Daraufhin hat Mazedonien angefangen mit Trängengas und Gummigeschossen zu schießen. Mazedonien war heute genauso brutal wie die syrische Armee.“ Stundenlang soll die mazedonische Armee willkürlich in das Lager geschossen haben.

Die Schuld an der Eskalation liege für ihn aber nicht bei den Geflüchteten. „Es gibt keine offizielle Stelle über die es Informationen oder Nachrichten gibt. Sie halten uns seit zwei Wochen bei der Registrierung hin, die Lebensbedingungen machen krank und die mazedonische Armee ist hart und gewalttätig.“ Laut Nabi wären die Menschen verzweifelt und sähen keinen anderen Ausweg. „Es ist eine dramatische Situation hier und niemand sorgt sich um die Geflüchteten. Was erwartet ihr schon, was sie tun?“, fragt er. Er erwartet mehr Engagement von den europäischen Staaten. „Die EU muss die Grenzen aufmachen, um die Menschen auf ihrer Flucht vor dem Tod zu beschützen!“


Bei dem Tränengas- und Gummigeschosseinsätzen sind mehr als 300 Menschen verletzt worden, darunter viele Kinder. Einige waren von ihren Eltern mit zur Grenze gebracht worden, in der Hoffnung sie mit hinübernehmen zu können. Die meisten hatten sie aber in weit entfernten Zelten und Hütten versteckt gehalten. Das Tränengas zog sich aber über das gesamte Camp bis in die Unterkünfte.
UPDATE: We have treated over 300 #people at #Idomeni so far today – 200 for exposure to tear gas and 30 for rubber bullet wounds.
— MSF Sea (@MSF_Sea) 10. April 2016
In Deutschland und Europa veruchen Politiker*innen sich das Gewissen mit Durchhalteparolen wegzureden („Wir müssen solche Bilder aushalten.„). Für die Menschen an den Grenzen hat das dramatische Konsequenzen, berichtet Guevara Nabi. „Ein Mann aus Syrien erzählte mir, dass er zuerst vor dem IS geflohen war, nachdem der seine Heimat unter Kontrolle gebracht hatte. Traurig hat er mir dann mitgeteilt, weil die EU nicht haben wollte ist er zurückgegangen und kämpft jetzt auf der Seite der Terrororganisation.“
Vor fünf Jahren, so erzählt Nabi, hätten sie in Syrien das diktatorische Regime stürzen wollen. „Wir wollten eine Demokratie, mit Freiheiten, ohne Korruption und ohne Diktatoren – aber wir haben es nicht geschafft. Und das alles wegen der Interessenskonflikte zwischen den Staaten, den ‚großen Mächten‘. Und jetzt stehen wir hier.“